Karl-Heinz Kraemer
Department of Political Science of South Asia, South Asia Institute, University of Heidelberg

Kein Wille zur Beendigung der Krise in Sicht

In: Nepal Information, 91:17-18 (2003)

Vor 14 Monaten wurde das Repräsentantenhaus des Parlaments aufgelöst, vor genau einem Jahr folgte die Auflösung der gewählten lokalen Gremien. Gut neun Monate ist es her, daß König Gyanendra die Macht ergriff und die Deuba-Regierung ihres Amtes enthob. Seither schlingert der nepalische Staatsapparat daher, ohne daß ein wirklicher Silberstreif am Horizont sichtbar wird. Daran hat auch der überraschende Waffenstillstand mit den Maoisten Ende Januar 2003 wenig geändert. Längst schon stocken die Friedensbemühungen und es mehren sich die Befürchtungen, daß der Dialog erneut scheitern könnte.

Die Frage der Schuldzuweisung

Politische Parteien, Maoisten und letztlich auch die Monarchie haben den modernen nepalischen Staat in seine größte Krise gesteuert. Die Zukunft des Landes und seiner Menschen steht auf dem Spiel, aber die Personen an den Schalthebeln der Macht scheint das alles nicht zu interessieren. Ihnen geht es weiterhin nur um Macht und persönliche Interessen. Konsensfähigkeit, Verständnis für die zahlreichen sozialen und wirtschaftlichen Probleme und zukunftsorientierte Politik sind ihnen Fremdwörter.

Die teilweise widersprüchlichen Aussagen der Politiker erschweren oft eine ausgewogene Beurteilung der Vorgänge und Standpunkte. Ich will an dieser Stelle auf die Rangeleien an der Spitze des Staates nur insoweit eingehen, als sie noch nicht in meinem Vortrag vom Nepaltag genannt wurden. Das einschneidenste Ereignis war der Rücktritt des von König Gyanendra eingesetzten Premierministers Lokendra Bahadur Chand. Dieser erfolgte am 30. Mai, als sich die Agitation der demonstrierenden Parteien (Nepali Congress, CPN-UML, People’s Front Nepal, Nepal Workers’ and Peasants’ Party und die von Ananda Devi angeführte Gruppe der Nepal Sadbhavana Party) in ihrer Agitation dahingehend steigerten, daß sie gar von einer Abschaffung der Monarchie sprachen. Der König gab den Parteien drei Tage Zeit, einen gemeinsamen Kandidaten für das Premierministeramt zu benennen. Die fünf demonstrierenden Parteien einigten sich auf Madhav Kumar Nepal, den Generalsekretär der CPN-UML, doch erhoben auch Führer anderer, zum Teil kleinster Parteien Anspruch auf das Amt.

Regierungswechsel

Erneut mißachtete König Gyanendra die Empfehlung der großen Parteien und bestimmte Surya Bahadur Thapa zum Nachfolgen von Chand. Wie letzterer, kommt Thapa aus der als konservativ eingestuften National Democratic Party (Rastriya Prajatantra Party, RPP), dem Sammellager der einstigen Panchayat-Aktivisten. In der Tat ist Thapa der dienstlängste Regierungschef der Panchyat-Zeit gewesen. Zwischen 1963 und 1969 stand er an der Spitze von fünf unterschiedlichen Regierungen, davon zunächst unter dem Titel „Vorsitzender des Ministerrats“. Fünf weitere von Thapa geführte Regierungen gab es zwischen 1979 und 1983, als er dann mit Hilfe des einzigen Mißtrauensvotum des Nationalpanchayats ausgerechnet von Chand gestürzt wurde (diese Option war erst mit der dritten Verfassungsänderung von 1980 eingeführt worden). Schließlich bekleidete Thapa 1997/98 noch einmal für sechs Monate das Amt des Premierministers, als politische Machtspielereien die junge Demokratie in der Phase unklarer Parlamentsmehrheiten an den Rand des Abgrunds führten.

Ähnlich wie sein Vorgänger Chand, so steht auch Thapa heute ziemlich alleine da. Nicht nur die fünf demonstrierenden Parteien sondern auch große Teile seiner eigenen RPP stehen der von ihm angeführten Rumpfregierung skeptisch gegenüber, da sie jeglicher Legitimation entbehrt. Zum Teil wird dabei der Riß deutlich, der sich von Anbeginn durch die RPP zieht; die Parteiführer, die Thapa jetzt als Minister zur Seite stehen kommen allesamt aus jenem Parteiflügel, der Thapa schon immer die Stange gehalten hat. Es drängt sich förmlich ein Vergleich zur Panchayat-Zeit auf. Die Macht liegt wieder in den Händen des Königs, und dieser übt sie aus, indem er die Politiker aus dem Kreis der ihm und seiner Politik Wohlgesonnenen gegeneinander ausspielt.

Friedensprozeß

Angesichts dieser Ereignisse ist der Dialog mit den Maoisten stark in den Hintergrund gerückt. Statt Gesprächen gab es mehr Aktionen, insbesondere durch maoistisch orientierte Studenten, die den gesamten Bildungsbereich durch Streiks wochenlang mehr oder weniger lahmlegten. Gleichzeitig hat sich die Zahl der militanten Aktivitäten, insbesondere im maoistischen Kerngebiet des westlichen Berglands, in den letzten Wochen deutlich erhöht. Positiv stimmt jedoch, daß die maoistischen Verhandlungsführer in Kathmandu weiterhin für eine friedliche Lösung des Konflikts eintreten. Das Stocken der Gespräche hängt nicht nur mit dem Problem der Regierung zusammen, den maoistischen Forderungen offen zu begegnen, als hinderlich erweist sich auch der Regierungswechsel, der auf Regierungsseite neue Gesprächspartner ins Spiel bringen wird. Schon jetzt steht die Frage im Raum: Was wird aus den bereits getroffenen Vereinbarungen?

Auf lange Sicht aber stimmen die Entwicklungen in Nepal nicht sonderlich hoffnungsvoll. Ansätze und Willen zu einer Rückkehr zur Demokratie sind weiterhin nicht erkennbar. Dies gilt für den König in gleicher Weise wie für die von ihm eingesetzte Regierung und die dazu in Opposition stehenden politischen Parteien. Bloße Lippenbekenntnisse zu Verfassung und Demokratie mag man schon fast nicht mehr hören. Über den Sinn und Unsinn von Parlamentswahlen während der Phase der Verhandlungen mit den Maoisten mag man ja noch diskutieren. Es wäre sicherlich besser, Neuwahlen erst dann durchzuführen, wenn die Friedensverhandlungen hoffentlich erfolgreich abgeschlossen sind und die Maoisten aktiv eingebunden werden können. Aber es gibt keine Erklärung, warum für die Übergangszeit nicht das im Mai 2002 aufgelöste Repräsentantenhaus wiedereingesetzt und von ihm eine Regierung legitimiert werden sollte. Verfassungsrechtler, die weder royalistisch noch parteipolitisch gebunden sind, interpretieren Artikel 53 (4) der Verfassung (dieser Artikel legitimiert den König, auf Empfehlung des Premierministers das Parlament unter der Auflage aufzulösen, daß innerhalb von sechs Monaten Neuwahlen durchgeführt werden) ohnehin schon seit längerem dahingehend, daß eine Parlamentsauflösung automatisch aufgehoben wird, wenn nicht innerhalb von sechs Monaten Neuwahlen durchgeführt werden. Mit anderen Worten: Deubas Empfehlungen und die Aushebelung der Verfassung durch König Gyanendra wären völlig überflüssig gewesen.

So verhärtet sich der Eindruck, daß gewisse Kräfte die Demokratisierung zurückfahren wollen. Dies wird unterstrichen durch die Tatsache, daß in diesen Tagen mittels königlicher Verordnung auch der demokratielose Zustand auf lokaler Ebene um ein weiteres Jahr verlängert wurde. Und schließlich sollte auch nicht unerwähnt bleiben, daß Ende Juni 2003 die sechsjährige Amtszeit von einem Drittel der 60 Abgeordneten der Nationalversammlung auslief. Damit wurde auch die letzte noch verbliebene parlamentarische Institution zum Absurdum.

Man kann in diesem Zusammenhang nicht oft genug darauf hinweisen, daß Nepal nicht mehr mit kleinen kosmetischen Veränderungen geholfen werden kann. Auf lange Sicht ist der maoistische Konflikt nur ein Vorspiel für das, was Nepal bevorsteht, wenn es nicht endlich zu tiefgreifenden sozialen, politischen und wirtschaftlichen Reformen in der Lage ist. Eine vom Social Science Baha Ende April 2003 organisierte Tagung zur Einbeziehung (inclusion) der zahlreichen benachteiligten Gesellschaftsgruppen hat noch einmal besonders deutlich gemacht, wo die Veränderungen ansetzen müssen. (Einige Vorträge dieser Konferenz sind im Internet unter http://nepalresearch.org/politics/inclusion.htm#background nachlesbar) Im Gegensatz dazu hat eine Mitte Juli in Kathmandu abgehaltene Brahmanenkonferenz ein weiteres Mal den Willen der herrschenden Eliten verdeutlicht, an der bestehenden Konzeption von Staat und Gesellschaft in Nepal mit all ihren einseitigen Begünstigungen bzw. Benachteiligungen festzuhalten.


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