Karl-Heinz Kraemer |
Nepal im Ausnahmezustand In: Nepal Information, 88:147-148 (2001) Wer geglaubt hatte, nach der Palasttragödie vom 1. Juni 2001 könne es für Nepal nicht mehr schlimmer kommen, muß sich eines Besseren belehren lassen. Die Hoffnungen auf eine Ende der blutigen Auseinandersetzungen zwischen den aufständischen Maoisten und dem nepalischen Staat, die nach dem Amtsantritt Premierminister Deubas und der Einleitung eines Dialogs aufkeimten, wurden am 23. November 2001 jäh zerschlagen, als die Maoisten ihrerseits den Dialog aufkündigten und die Anschläge gegen staatliche Einrichtungen, erstmals auch gegen militärische, wiederaufnahmen. Innerhalb weniger Tage gab es hunderte von Toten, fast 300 allein im bis dahin so friedlichen Salleri, Solu-Khumbu-Distrikt. Die Antwort des Staates war die Ausrufung des landesweiten Ausnahmezustands, die Aussetzung zahlreicher Grundrechte und die Mobilisierung der Armee. Die Maoisten erklärte man offiziell zu Terroristen, auf die man fortan eine gnadenlose Jagd einleitete. Im Gegensatz zur Polizei wirkt die Armee zumindest zur Zeit den maoistischen Kräften deutlich überlegen. Die eingeschränkte Pressefreiheit verhindert jedoch ein objektives Bild. Dennoch prägen tägliche Zwischenfälle mit zahlreichen Toten und Verletzten, Ausgangssperren und Verhaftungen landesweit das Bild, insbesondere im ländlichen Raum. Unter diesen Bedingungen über ein erneutes Jahr zur Förderung des Tourismus unter dem Schlagwort "Destination 2002" zu sprechen, wirkt befremdlich. Behinderung der Regierungspolitik Die Einleitung des Dialogs mit dem Maoisten war nur einer von zahlreichen positiven Ansätzen, mit denen Sher Bahadur Deuba in geradezu stürmischer Weise seine Amtsgeschäfte aufnahm. Mit vielen seiner Reformansätze rührte er an den Grundlagen der traditionellen nepalischen Gesellschaftshierarchie. Rasch blies ihm ein Sturm der Entrüstung aus diesem konservativen Lager entgegen. Es wurde deutlich, daß selbst seine eigene Regierungspartei, der Nepali Congress, in dieser Hinsicht zutiefst gespalten war, sicherlich auch eine Folge der Politik dieser Partei in den ersten Jahren der Nach-Panchayat-Zeit. So schien es, als hätte Deuba in den ersten Wochen seiner Amtszeit mehr Unterstützung seitens der linken Parteien als seitens seines Nepali Congress gehabt. Deutlich wurde aber auch erneut das unverbesserliche Machtgerangel in dieser Partei. Wer geglaubt hatte, der 79jährige Girija Prasad Koirala habe die Zeichen der Zeit erkannt und die Macht endgültig in die Hände einer jüngeren Generation gelegt, sah sich getäuscht. Koirala nutzte sein Amt als Parteivorsitzender, das mit einer undemokratisch anmutenden Machtfülle ausgestattet ist, erneut, um Deuba das Leben so schwer wie möglich zu machen; offen ließ er erkennen, daß er erneut Premierminister werden möchte. Als Folge war die Politik des Nepali Congress zum Teil der Regierungspolitik entgegengesetzt. Aufgrund dieser Schwächung der Deuba-Regierung durch die eigene Partei sah sich der Premierminister zur Rücknahme zahlreicher positiver Ansätze gezwungen; das Ende der rigoros eingeleiteten Landreform und das klägliche Scheitern einer auf Gleichheit aufbauenden Frauenpolitik sind nur zwei Beispiele. Auch die erneut unverantwortlich große Regierung mit 41 Personen ist eine Folge der konträren Parteipolitik. Wieder wurde deutlich, daß es den Politikern nur um persönliche Macht und Einfluß und nicht um das Wohl des Landes ging; der Ministerrat mußte aufgebauscht werden, wenn die Regierung überleben wollte. Das Scheitern des Dialogs Eine ganz entscheidende Konsequenz dieser Lähmung der Regierung war die Verzögerung des Dialogs mit den Maoisten. Viel zu lang waren die Abstände zwischen den drei mit großem Öffentlichkeitswirbel aufgezogenen Verhandlungsrunden. Auch wurden konkrete Ergebnisse nicht deutlich. Dialog konnte ja nur bedeuten, daß es zu einem Entgegenkommen beider Seiten kam. Die drei Grundforderungen der Maoisten waren dabei eine schwer verdaubare Kost für die Regierung: Abschaffung der Monarchie, Einführung einer Republik und als Grundlage die Schaffung einer neuen Verfassung durch eine vom Volk gewählte verfassunggebende Versammlung. Alle diese Forderungen waren für die Regierung nicht diskutabel, wenn sie sich an die bestehende Verfassung halten wollte. Die Maoisten kamen ihrerseits bis zuletzt dem Staat dahingehend entgegen, daß sie auf die beiden ersteren Forderungen verzichteten; man erklärte sich mit einer Beibehaltung der konstitutionellen Monarchie einverstanden, wenn die Macht des Königs noch strenger unter die Kontrolle der Volksvertreter gestellt würde. Die Maoisten beharrten jedoch auf Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung, die dann eine neue Verfassung ausarbeiten sollte. Die bestehende Verfassung wurde als undemokratisch kritisiert, weil sie 1990 von selbsternannten Volksvertretern geschaffen wurde. Jene Parteiführer hätten keinen repräsentativen Querschnitt der nepalischen Gesellschaft dargestellt, sie seien nie vom Volk gewählt und somit legitimiert gewesen und sie hätten es nicht einmal für nötig befunden, die von ihnen entworfene Verfassung durch ein Volksreferendum absegnen zu lassen. Kritik an der Verfassung Diese maoistische Kritik ist nicht völlig von der Hand zu weisen. Die Verfassung von 1990 mutet angesichts der Kürze der Zeit, in der sie geschaffen wurde, und vor dem Hintergrund der damals kritischen politischen Situation von ihrer Struktur her als demokratisch an. Die Probleme stecken jedoch im Detail und in dem, was die Politiker im Laufe der Jahre daraus gemacht haben. So verhindern viele Formulierungen der Verfassung eine Gleichheit aller Bürger und eine Partizipation der gesamten Bevölkerung. Die traditionellen Benachteiligungen der Frauen, der ethnischen Gruppen, der sogenannten unberührbaren Hindukasten und der Tarai-Bevölkerung, die allesamt eine Folge der politischen Entstehungsgeschichte des modernen nepalischen Staates sind, werden durch die heute gültige Verfassung nicht beseitigt. Die Politiker und die machthabenden Kreise haben in den Jahren seit 1990 erkennen lassen, daß ihnen an einer wirklichen Beseitigung dieser Benachteiligungen auch gar nicht gelegen ist. Ein markantes Beispiel ist Artikel 11 in Verbindung mit Artikel 131. Artikel 11 verbietet eine Ungleichbehandlung der nepalischen Bürger vor dem Gesetz auf der Grundlage von Rasse, Ethnizität, Kaste, Geschlecht und Region; Artikel 131 erklärt alle Gesetze, die diesem Grundsatz widersprechen, ab dem 9. November 1991 für ungültig. Aber selbst 10 Jahre später scheint es weder Politiker noch Justiz zu interessieren, daß als Konsequenz des Artikels 131 viele Gesetze schlicht und einfach ungültig sind; sie werden weiterhin angewandt, und die wenigen, jahrelang diskutierten Änderungen werden dem Grundsatz des Artikels 3 nicht gerecht. Perspektiven Es ist fraglich, ob die Maoisten tatsächlich eine Änderung herbeiführen würden, wenn sie an der Macht beteiligt wären. Mit ihren Anschlägen auf staatliche Einrichtungen, mit der sinnlosen Zerstörung öffentlichen Eigentums und mit der brutalen Tötung und Einschüchterung unschuldiger Menschen outen sie sich als Terroristen. Es ist wahr, daß die Politiker mit ihrer Korruption und Vetternwirtschaft die Entwicklung des Landes auf kriminelle Weise verhindern, aber das Vorgehen der Maoisten wirft eine solche Entwicklung in gleicher Weise zurück. Die Armee mag im Augenblick den Maoisten überlegen sein, wenn man den zensierten Berichten des Staates Glauben schenken kann. Frieden ist aber mit Gewalt nicht zu schaffen, auch wenn westliche Mächte uns das zur Zeit mit ihrer Weltpolitik glaubhaft machen wollen. Frieden und Entwicklung sind in Nepal nur möglich, wenn der Korruption ein Ende bereitet wird, wenn gravierende Veränderungen, einschließlich gesetzlicher und konstitutioneller, herbeigeführt werden und wenn alle Menschen eine Chance erhalten, an dieser Entwicklung beteiligt zu sein. Hinweis: Informationen zur Entwicklung dieses Problems finden Sie im Internet über eine regelmäßig aktualisierte Zusammenstellung von Presse-Links (http://nepalresearch.com/politics/maoists.htm#press_articles) bzw. über die exklusive Informationsseite des Newslookmagazine (http://www.newslookmag.com/exclusives/emergency2001.html). Sicherheitshinweise finden Sie auf der Internetseite des Auswärtigen Amts (http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/laenderinfos/laender/laender_ausgabe_html?type_id=14&land_id=120). |
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