Lhakpa Doma Salaka-Pinasa Sherpa and Karl-Heinz Kraemer
South Asia Institute, University of Heidelberg, Department of Political Science

Die Sherpas von Solu-Khumbu

 In: Nepal Information, 89:12-13 (2002).

Die Sherpas sind eines der zahlreichen Völker Nepals. Sie selbst sprechen ihren Volksnamen als Sherwa aus. Meist bringt man mit dem Begriff Sherpa jene Menschen in Verbindung, die bei den Hochgebirgsexpeditionen und Trekkingtouren der Europäer, Amerikaner, Australier und Japaner als Führer und Lastenträger fungieren. Doch nicht alle, die in der Presse als Sherpas bezeichnet werden, sind auch in der Tat solche. Das Wort Sherpa ist nämlich heute zum Synonym für Hochgebirgsträger und -führer schlechthin geworden.

Die echten Sherpas sind eine noch relativ junge Gruppe des nepalischen Bevölkerungsmosaiks. Mitte der sechziger Jahre von einer deutschen Expedition durchgeführte Forschungen haben ergeben, daß sie zwischen 1530 und 1600 aus der osttibetischen Provinz Kham über den hohen Himalayapaß Nangpa La ins nepalische Solu-Khumbu, südwestlich des Mount Everest, eingewandert sind. Dies erklärt auch den Volksnamen: "Leute aus dem Osten (sher-wa)".

Die Landschaft Solu-Khumbu darf nicht mit dem gleichlautenden heutigen Distrikt Solu-Khumbu verwechselt werden. Der nepalische Staat hat bei Verwaltungsgliederungen mehrfach das Sherpa-Gebiet mutwillig zerschnitten, so 1886 bei der Schaffung der Distrikte East No. 2 und 3 und 1961 bei der Festlegung der heutigen Distriktgrenzen. Die traditionelle Landschaft Solu-Khumbu reicht im Westen über die Grenzen des heutigen Distrikts Solu-Khumbu hinweg bis fast nach Jiri, während der südöstliche Teil des Distriktes nicht von Sherpas besiedelt ist.

Unter dem ursprünglichen Begriff Solu-Khumbu werden die Landschaften Khumbu, Pharak und Solu zusammengefaßt. Khumbu ist ein Hochtal im Khumbu Himal, zu dem so hohe Berge wie Mount Everest und Lhotse gehören. Namche Bazar, von den Sherpas als Nauche bezeichnet, ist mit rund 3.500 m der tiefstgelegene Ort dieses Tals, dessen Siedlungen bis in fast 5.000 m Höhe hinaufreichen. Pharak, mit der bekannten Flugpiste von Lukla, ist der schmale Korridor der Dudh Kosi-Schlucht südlich von Namche Bazar. Südwestlich von Pharak schließt sich Solu an, von den Sherpas als Shorong bezeichnet. Während in Khumbu und Pharak die natürlichen Gegebenheiten der Bevölkerungszahl Grenzen setzen, leben die meisten Sherpas in Shorong in Höhen zwischen 2.300 und 4.000 m. Die tiefer gelegenen Hänge sind hier anderen Volksgruppen vorbehalten.

Die Sherpa-Gesellschaft gliedert sich in exogame Klane, d. h. Heiraten sind nur zwischen Angehörigen unterschiedlicher Klane möglich. Eine hierarchische Gesellschaftsordnung, wie sie für die Hindugesellschaft Nepals typisch ist, ist den Sherpas völlig fremd. Entsprechend dem unter den ethnischen Gruppen traditionell weit verbreiteten Kipat-System, war das gesamte Sherpa-Gebiet ursprünglich in Klan-Territorien aufgeteilt, d. h. das Land gehörte dem Klan und nicht Individuen. Diese Klan-Gebiete wurden mit der Abschaffung des Kipat-System (endgültige Abschaffung 1949) durch den expandierenden nepalischen Staat enteignet.

Die Sherpa-Kultur basiert auf dem alttibetischen Nyingmapa-Buddhismus und ist vermischt mit animistischen und schamanistischen Vorstellungen und Praktiken. Kennzeichnend waren dabei bis weit ins 20. Jahrhundert Laien-Lamas, deren Einsiedeleien zu Meditationszwecken, Dorftempel als religiöse Zentren und das Fehlen einer Klosterkultur. Erst 1916 entstand in Tengboche das erste Kloster des Sherpa-Gebiets mit im Zölibat lebenden Mönchen. Inzwischen sind unter tibetischem Einfluß zahlreiche weitere Mönchsklöster und auch einige wenige Nonnenklöster entstanden.

Die Sherpa-Sprache ist mit dem modernen Tibetisch verwandt, doch ist der gegenseitige Verständnisgrad sehr eingeschränkt. Da die Sherpa-Sprache keine geschriebene und standardisierte Sprache ist, bemüht sich die heutige Elite der Sherpas um die Übertragung der tibetischen Schrift, obgleich dies die Sherpa-Sprache entfremdet, weil sie sich seit Jahrhunderten unabhängig vom Tibetischen entwickelt hat.

Wie alle ethnischen Kulturen Nepals ist auch die der Sherpas in einem erheblichen Maße vom Verfall bedroht. Die Ursachen liegen nicht nur in der Begegnung mit westlichen Werten und Lebensweisen, die seit den fünfziger Jahren zunehmend auf dem Weg über die sogenannte Entwicklungshilfe, wissenschaftliche Forschungen, Bergsteigerei und Tourismus sowie die Verbreitung und Inhalte der Medien über das Land und somit auch über die Sherpas hereingebrochen sind. Sie liegen auch in der Art des Umgangs mit ihnen und ihrer Einstufung durch die herrschende Schicht des Landes, die den hohen Hindukasten angehört.

Traditionell leben die Sherpas von Ackerbau und Viehzucht, ergänzt durch regionalen Handel. Der traditionelle Handel mit Tibet über den Nangpa La ist durch die chinesische Tibet-Politik fast zum Stillstand gekommen. Eine moderne Einkommensquelle ist der Tourismus, aber nur wenige Sherpas machen damit wirklich das große Geschäft. Die meisten Sherpas finden lediglich als Träger oder Führer minderwertige Jobs in der Trekkingindustrie. Der Zugang zu diesen Jobs liegt in Kathmandu. Daher pendeln heute viele junge Sherpas zwischen Dorf und Stadt hin und her. Letztere aber bietet nach wie vor wenig Chancen für Angehörige ethnischer Gruppen. Hunderte Sherpa haben im Laufe der letzten 50 Jahre bei waghalsigen Expeditionen im Dienste von Bergsteigern, in jüngerer Zeit auch bei nationalen Expeditionen, ihr Leben gelassen. Erst allmählich werden einige von ihnen, wie Pasang Lhamu und Babu Chhiri vom Staat angemessen gewürdigt.


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